HORNEBURG. Jugendliche der Samtgemeinde Horneburg sollen an politischen Entscheidungen beteiligt werden. Das will die Politik – und so wurde im Juni ein Jugendbeirat gegründet. Warum Kai-Janis Meyer und Wenke Reimann vom Kreisjugendring Stade das kritisch sehen.
Der Rat hat das neue Mitsprache-Gremium beschlossen – mit dem Ziel, Jugendliche an die Politik heranzuführen. Im Beirat sollen sie eigene Ideen und Meinungen einbringen und damit das politische Geschehen in der Samtgemeinde Horneburg mitgestalten. Nur Jugendliche ab 12 Jahren sollen im Beirat sitzen, die Altersgrenze ist auf 21 Jahre festgelegt. Der Jugendbeirat hat im Rat Rederecht und ist im Jugendausschuss mit einem zugewählten Mitglied vertreten; es gibt Sitzungsgeld (10 Euro) und ein Budget (10.000 Euro). Die Akquise der jugendlichen Mitglieder soll über die sozialen Medien und die Einrichtungen der Jugendpflege sowie die Schulen erfolgen.
Im Jugendausschuss am Donnerstag, 17. September, 19.30 Uhr, in der Mensa der Johann-Hinrich-Pratje-Schule (Oberschule), soll das Konzept ergebnisoffen weiterentwickelt werden. Kritisch verfolgt wird die Planung vom Pädagogen Kai-Janis Meyer (29) aus Stade, hauptamtlicher Jugendbildungsreferent beim Kreisjugendring Stade, und von Sozialpädagogin Wenke Reimann (25) aus Horneburg, ehrenamtliche stellvertretende KJR-Vorsitzende.
Warum hält der Kreisjugendring Jugendparlamente und Jugendbeiräte für kein sinnvolles Mittel, um Jugendliche zu beteiligen?
Kai-Janis Meyer: In einigen Großstädten Südniedersachsens funktionieren Jugendparlamente als Beteiligungsform für junge Menschen durchaus. Aber wir weisen aus fachlicher Sicht auf sinnvollere Alternativen hin – insbesondere für den ländlichen Raum. Denn bei Jugendparlamenten besteht die Gefahr, dass Jugendliche die Erwachsenenpolitik einfach nur nachspielen, und vor allem ambitionierte Nachwuchspolitiker den Diskurs bestimmen.
Es stellt sich die Frage, wie Jugendliche verschiedener Altersklassen und sozialer sowie kultureller Hintergründe ernsthaft beteiligt werden. Jugendliche denken eher themen- und projektorientiert. Und hier sehen wir einen Ansatzpunkt, wie Beteiligung funktionieren kann. Zu bestimmten Themen müssen Jugendliche projektorientiert und zielorientiert beteiligt werden, ohne dass sie sich für mehrere Jahre verpflichten, ein bestimmtes Amt auszuführen.
Wieso sind zeitlich befristete Projekte besser als eine auf Dauer angelegte Gremienarbeit?
Meyer: Gremienarbeit hat keinen Lebensweltbezug. Sie ist zu abstrakt und eher langfristig angelegt. Kinder und Jugendliche interessieren sich mehrheitlich für die einzelne Aktion, für das einzelne Projekt, für das einzelne Thema. Für die heutigen Kinder und Jugendlichen herrscht eine Flut von Angeboten, aus denen sie wählen können. Sie sind daher in ihrem Leben deutlich flexibler und ungebundener. Und sie sind es gewöhnt, sich in ihrer Freizeit mit Themen zu beschäftigen, die sie interessieren.
Die Bindung an ein abstraktes politisches Amt passt nicht zur Vorstellung vieler junger Menschen. Ein weiterer Vorteil der Projektorientierung: Sie ermöglicht es, Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Altersgruppen und Hintergründen zu den sie betreffenden Themen zu beteiligen. Die Bindung an Wahlperioden fiele damit weg. Das wäre eine direkte Beteiligung, die nicht von den Meinungen und dem Umsetzungswillen der Beiratsmitglieder abhängig wäre.
Wie können Jugendliche besser beteiligt werden?
Wenke Reimann: Beteiligung sollte lebensweltorientiert stattfinden. Parlamentarische Debatten und politische Gremienarbeit sind aber nicht lebensweltorientiert. Jugendliche können damit nicht viel anfangen. Sie interessieren sich nicht für die politischen Prozesse, sondern eher für konkrete, sie betreffende Themen – zum Beispiel die Schwimmbadschließung oder aber auch, wie Umweltschutz in der eigenen Gemeinde umgesetzt werden kann. Projektbezogene Beteiligungen heißt aber auch, die Politik und Verwaltung müssen die Ergebnisse ernstnehmen.
Beteiligung bedeutet, Jugendliche nicht nur zu hören, sondern ihre Vorschläge ernsthaft abzuwägen, Gegenargumente jugendgerecht zu erklären und Jugendlichen mit ihren Vorschlägen auch Erfolge zu ermöglichen. Dies gilt auch für Jugendbeiräte: Wenn die Jugendsprecher lediglich das Recht auf Anwesenheit in ohnehin öffentlichen Sitzungen haben und Fragen an die Verwaltung richten dürfen, haben sie nicht mehr Rechte als alle anderen Bürger auch. Das ist keine ernst gemeinte Beteiligung.
Wie kann eine Jugendvertretung strukturell eingebunden werden?
Meyer: Sie muss ernst genommen werden. Beteiligung muss zu Erfolgen führen können. Wenn die Politik den Jugendbeirat entsprechend beteiligen will, dann müssen Vertreter auch mitreden und nicht einfach nur Anfragen an die Verwaltung stellen dürfen. Sie müssen mehr Rechte haben, als normale Bürger und damit auch Einfluss haben.
In der Jugendkonferenz sitzen (auch ältere) Vertreter der Vereine, während in den Beirat junge Menschen gewählt werden. Wo werden inhaltliche Überschneidungen gesehen?
Reimann: Die Jugendkonferenzen im Landkreis Stade setzen sich aus Vertretern der örtlichen Vereine und Institutionen zusammen, die Jugendarbeit betreiben. Sie bilden also die verbandliche Ebene der Jugendarbeit ab und sind ein Netzwerk auf lokaler Ebene, das als Ziel hat, organisationsübergreifend die Lebens- und Freizeitbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern.
Darunter fällt auch, Jugendliche für kommunalpolitische Themen zu interessieren und zu aktivieren. Allerdings sind die Juko-Mitglieder in der Regel nicht gewählt, sondern als Delegierte bestimmt oder freiwillig dabei. Die Juko wäre der ideale Träger, um Beteiligungsprojekte in Kooperation mit der Jugendpflege durchzuführen.
Was spricht dagegen, wenn bildungsnahe und sozial privilegierte Jugendliche des Bildungsbürgertums es den Erwachsenen gleichtun, um ihre Interessen einzubringen?
Meyer: Die Gefahr der Ausschließlichkeit spricht dagegen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass mich in meiner Jugend als privilegierter, weißer Jugendlicher die Probleme, Fragen und Wünsche von weniger privilegierten Menschen nicht betroffen haben. Ich bin in meiner eigenen Blase groß geworden. Ich hätte dadurch meine Interessen – die Interessen der Privilegierten – vertreten, während die Interessen der Benachteiligten weiterhin nicht gehört worden wären.
In Zeiten einer zunehmenden Ungleichheit und des Auseinandergehens der Einkommensschere halten wir das Mitdenken von allen Jugendlichen für dringend geboten. Es wäre daher nicht richtig, ein Instrument zu schaffen, dass vor allem die Beteiligung von ohnehin Privilegierten ermöglicht.
Was muss die Politik tun, um Jugendliche für den Jugendbeirat zu begeistern, sie an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und ihnen Lust auf politische Partizipation, zu machen?
Reimann: Wenn es eine einfache Lösung gäbe, gäbe es die Diskussion nicht. Aus unserer Sicht muss aber sichergestellt sein, dass eine Aussicht auf Erfolg im politischen Prozess besteht und Äußerungen und Beschlüsse des Jugendbeirates fraktionsübergreifend wertschätzend und ernsthaft beachtet werden.
Und ganz wichtig: Für eine ernst gemeinte Beteiligung müssen die finanziellen und personellen Ressourcen zur fachlichen Begleitung des Beirates bereit gestellt werden. Nebenbei ist eine solche Aufgabe kaum zu bewerkstelligen. Ohne fachliche Begleitung wird es nicht funktionieren.
Wie können Sie vom Kreisjugendring Stade dabei helfen?
Reimann: Wir sind sehr froh, dass das Konzept überarbeitet werden soll und dadurch eine Grundlage gelegt werden kann, auf der ein Beirat vielleicht funktioniert. Und genau hier helfen wir gerne mit: bei der Konzepterarbeitung und fachlichen Diskussion.
Wie kann die Themenfindung gestaltet werden?
Meyer: Eine Gegenfrage: Warum fragen wir nicht einfach Jugendliche, wie sie beteiligt werden möchten? Das wäre dann wirkliche Beteiligung. Nicht Erwachsene sollten Themen finden, sondern die Betroffenen selbst. Dazu kann es Workshops, Mitmachaktionen auf öffentlichen Plätzen oder Ideenwettbewerbe geben.
31.08.2020 von Sabine Lohmann, Tageblatt, www.tageblatt.de